Urheberrechtliches und Widerrechtliches, mit besonderer Berücksichtigung der Schubhaft

7. November 2013

Gestern erhielt ich ein Email von einem professionellen Architekturfotographen, mit einer Rechnung über €168 (inkl. mwst) für die “widerrechtliche Verwendung sowie unterlassenere Herstellerbezeichnung des Fotos Schubhaftzentrum Vordernberg, auf meinem Blog-Eintrag über selbiges Schubhaftzentrum (http://www.fabianfaltin.com/schubhaftzentrum-vordernberg/). Eine frühere Verwarnung per Email (ebenfalls schon mit Rechnung) hatte mich anscheinend nicht erreicht. Jetzt gesellte sich zur Rechnung bereits die Drohung, den Fall schon morgen an den Verbandsanwalt der Berufsphotographen o.ä. weiterzureichen. Ich konnte es zunächst kaum glauben: hatte ich nicht alle Photos vom zuständigen Architekturbüro bezogen – mit ausdrücklicher Zustimmung? Inklusive diesem hier:

baustelle_vordernberg_sue

(Photo: Sue Architekten, Wien; http://www.sue-architekten.at/node/202/fid/5358)

Ein überstürzter Anruf beim Photographen brachte Klarheit: nein, das im Blog aufscheinende Baustellen-Photo sei ein anderes, nämlich seines. Vermutlich hatte ich es über die Google-Bildersuche aufgerufen, und nicht direkt über die Architekten-Website. Man sehe den Unterschied allein schon daran, dass darauf keine Uhrzeit vermerkt ist. Die Baukräne stehen im übrigen auch anders, ebenso unterscheiden sich die Farbwerte und der Bildausschnitt (Siehe: http://www.kleinezeitung.at/steiermark/leoben/3178778/neues-schubhaftzentrum-vordernberg-rohbau-fertig.story)

Nun müsse ich dafür zahlen, und nun habe ich für die Verwendung gezahlt, und es aus purer Unlust trotzdem gelöscht. Ich war mehr als nur bestürzt – hatte er denn überhaupt nicht gelesen, worum es in diesem Blog eigentlich ging? War er nicht auch irgendwann jung und gesellschaftlich engagiert gewesen? Hätte er nicht genauso gut reagieren können mit einem “interessante Verknüpfung von visuellen, textlichen und architektonischen Ebenen, wir sollten mal ein Projekt zusammen machen”, ansteht einer banalen Rechnungslegung?

Ich erklärte dem Photographen also in einem entsprechend emotionalen Telefonschwall, dass dieser Blog nicht komerziell verwertet wird (worüber man allerdings streiten kann; Stichwort Ich-AG), dass ich wochenlang an einem Interview-Text über das Schubhaftzentrum gearbeitet und recherchiert habe, um darüber differenzierte Informationen an die Öffentlichkeit zu bringen und die Diskussion zu befördern, dass wir uns auch reichlich Mühe gegeben haben, sämtliche Bildrechte für die offizielle Veröffentlichung zu klären (u.a. mit dem Innenministerium), und dass meine Einkünfte kaum für ein selbstständiges Erwerbsleben, geschweige denn für kostenpflichtige Photos auf einem Hobby-Blog reichten; ein Rechtsstreit wäre in meinem Fall nicht nur kostspielig, sondern mit Sicherheit existenzbedrohend. Allein die Androhung eines solchen macht mich daher gegenüber solchen Forderungen wehrlos.

Er zeigte zum Glück und dankenswerter Weise Verständnis, er glaube mir, dass es sich um einen Fehler handelte, und sympathisiere grundsätzlich mit meinem Anliegen. Es gehe ihm auch gar nicht ums Geld, schliesslich habe er schon oftmals Photos verschenkt. Dennoch habe ich einen Fehler begangen, und müsse nun dafür einstehen. Schubhaftzentrum hin oder Blog her, am Ende stelle sich ihm doch die Frage, warum es  dann überhaupt noch Privateigentum gäbe, wenn (seine) Photos einfach so gratis verwendet würden.

Er bot mir – wie man’s nimmt – einen Ausgleich, einen Freundschaftspreis, ein Schmerzensgeld, eine Strafpönale von €50 plus ein Buch an. Ich überwies ihm das Geld, aus Einsicht, Unwissen, Ratlosigkeit und Angst in gleichen Teilen, bot ihm später auch an, noch zusätzlich €20 an den Verein “Asyl in Not” zu spenden, wenn er gleiches mit seinen €50 tun wolle. Mal sehen.

Und jetzt?

Bei mir bleibt das mulmige Gefühl einer (juristisch-moralischen) Erpressung, der digital-urheberrechtlichen Wegelagerei, einer verkannten Ungerechtigkeit. Bei ihm, dem Photographen, vermutlich ähnliches. Mögen wir das bei entsprechender Gelegenheit ausdiskutieren, oder auch nicht.

Die Tatsache, dass es sich um ein Schubhaftzentrum handelt, das nur deshalb in Vordernberg gebaut werden konnte, weil es als regionaler Wirtschaftsmotor konzipiert und beworben wurde, erscheint in diesem Zusammenhang wohl mehr als nur ein wenig ironisch. Dennoch sollte das in der Diskussion keine entscheidende Rolle spielen: wenn Bau-, Catering-, Security-, Putz-, und sonstige Firmen an der Schubhaft verdienen und Arbeitsplätze schaffen, warum nicht auch Architekten, Photographen und Schriftsteller?
Dieser hier bekommt im übrigen €300 aus der öffentlichen Hand für seine Teilnahme an einer zweitägigen Konferenz zum Thema Asyl, das mehrwöchige erarbeiten und schliesslich Abliefern eines Texts darüber. Ein Schelm, wer schlecht darüber denkt.

Also, zurück zum Kern der Sache, zurück in die 00er Jahre, und die leidige Diskussion von Urheberrechten im Digitalen Zeitalter. Meine Meinung im Blogger-Bierzelt:


►Ich finde, der Verweis auf geltendes Recht ist formal korrekt, aber leider nicht plausibel: denn dieses Recht hinkt dem digitalen Zeitalter weit hinterher, und ist ihm noch in keinster Weise konsequent angepasst worden. Man darf also seitens der Urheber wie auch seitens der Urheberrechtsverletzter getrost von Selbstjustiz und dem Recht des Stärken sprechen.

►Ich hege weiters den starken Verdacht, dass digitale Texte, Photos, Musik im Internet NICHT mit unteilbarem materiellem oder geistigem Eigentum gleichgesetzt werden können, und auch NICHT wie bisher verrechnet und verwertet werden dürften.

 

Erstens, weil Files tausendfach dupliziert und verändert werden können, und dadurch noch niemand einer Sache beraubt wird. Möglicherweise einer Idee und einer persönlichen Anerkennung. Aber – all other things equal – ist ein politisch höchst relevantes, aber nicht gezeigtes Photo wirklich besser als ein politisch höchst relevantes, gezeigtes, jedoch nach geltendem Recht unzureichend gekennzeichnetes und unvergütetes Photo?

Zweitens, weil Veröffentlichen heute keine von diversen ausschliessenden Verbänden und rechtehaberischen IGs protegierte Praxis mehr ist, sondern zum Glück weitgehend demokratisiert wurde. Tastaturen, Digitalkameras und Software sei Dank. Der Netz-Forscher Felix Stalder bringt es so auf den Punkt: „Letztlich liegt es heute an den NutzerInnen, ob ein File in einem Player oder einem Editor geöffnet wird“.

Die Idee, dass ausgerechnet professionelles oder gewerbliches Schreiben, Photographieren, Performen, Drehen, Produzieren, Veröffentlichen so viel qualifizierter und wertvoller ist, dass man dafür unbedingt und in jedem Fall bezahlt werden müsste, ist nach heutigen Massstäben für mich nicht mehr gänzlich glaubwürdig. Ebenso wenig wie die Idee eines unveränderbaren, genialen, künstlerischen, oder einfach nur ‘handwerklich soliden’ Werkes. Wenn es dafür  zahlungswillige Auftraggeber gibt – z.B. profitorientierte Firmen und Verlage aller Art – schön und gut. Auch ich kann zum Glück für Firmenmagazine schreiben und übersetzen, bezahlte Auftritte absolvieren, gelegentlich Bücher und T-Shirts verkaufen, gärtnerische Gelegenheitsjobs durchführen, und mich damit irgendwie über Wasser halten.

Daraus leitetet sich aber nicht ab, dass alle Photos und Texte immer und überall und auch im Intenet einen unverückbaren monetären und ideelen Wert haben. Manchmal sind sie einfach auch nur wieder anonyme Daten und Material, bis sie in einem anderen Zusammenhang erneut zum Leben erweckt werden. Es gibt keine Absolutheiten mehr, nur noch Kontexte. Das macht mich neugierig, und unsere Zeit so unüberschaubar und so spannend.

Drittens ist das Internet eine fundamental neue öffentliche Sphäre, deren Gesetze erst verhandelt werden müssen. Sie birgt aufklärerisches und utopisches Potential, und stellt ein Ganzes da, das weitaus grösser ist als die Summe seiner Teile. Sehen wir es aber primär als banale Werbeplattform und gewerblichen Vertriebskanal an, wäre das in etwa so, wie wenn wir das Telephon auch 2013 primär zur kostenpflichtigen Übertragung von symphonischen Konzerten verwendeten (wie es ursprünglich auch angedacht wurde, und zwar von Thaddeus Calhill und seiner New York Electric Music Company; er wollte Live-Aufführungen klassischer Konzerte für zahlende Hörer am Telefon veranstalten. Das er übrigens “Dynamophon” nannte). An rechtlich unbedenklicher Netzöffentlichkeit, Diskussionsbereitschaft und publizistischer Vielfalt bliebe dann in etwa die fröhlich-kommerzielle Google-Produktpalette, derstandard.at und die überkorrekte Wikipedia. Toll.

Viertens, Internet und Computerbildschirm sind anno 2013 Teil meiner kulturellen und physischen Lebenswelt. An manchen Tagen bin ich mehr hier als am realen Erdboden. Digitale Volkskultur ist zumindest im technologisch höchstentwickelten Österreich Realität. Alles was im Internet zirkuliert gehört dazu, und ist wie jede echte Volkskultur irgendwo herren- und eigentumslos, Teil einer Gesamt-Kollage, einer kollektiven Assoziationskette, eines überpersönlichen Gedächtnisses; wir haben es hier im strengsten Worten mit neuen Traditionen – also Formen des Weiterreichens – zu tun, mit neo-indigenem digitalem Liedgut. Wer Dinge ins Internet stellt, trägt automatisch Teil davon. Auf sämtliche digitalen Inhalte muss man sich frei und sorglos beziehen dürfen.

Fünftens, ein Blog wie dieser hier ist ein relatives neues und nicht klar einzuordnendes Format. Für mich hat er etwas von einem lebens- und prozessbegleitendes Tagebuch; 3 Milliarden Menschen könnten tatsächlich darin lesen, wieviele es de fakto sind wüsste nur Google Analytics (wenn ich es installiert hätte). In dieser digitalen Halb-Dunkelheit zu schreiben hat für mich einen zutiefst experimentellen Charakter: ich weiss nicht wirklich wofür, ich weiss nicht für wen, es geht gar nicht um die Sinnhaftigkeit.

Ich tue es, weil es sehr leicht geht, weil es die Langweile einer statischen Website ein wenig bricht, und weil es vielleicht einmal irgendwelche Reaktionen oder interessante Begegnungen oder Erkenntnisse produzieren könnte, und weil ich nicht auf Facebook sein möchte, und Romane aber meistens ziemlich altmodisch und überholt finde.

Wenn mir etwas interessantes unterkommt, erzähle ich also hier davon. Mittel des Erzählens sind im 21ten Jahrhundert auch spontane Screenshots und CTRL-C. Das Tempo, die Ungenauigkeit, das Unfertige, das Verwischen von öffentlich und Privat macht es möglich. Wenn darüber das Dämoklesschwert von Rechnungen und Urheberrechtsklagen schwebt, dann wird dieses und millionen ähnliche Experimente als kurzfristige Kapriole der 00er-Jahre in die Geschichte eingehen; dann ist es einfach zu riskant. (Und in der Tat steht mir dank dieses Zwischenfalls in den kommenden Tagen ein Überprüfen und Löschen auf breiter Front bevor).

pisg

(Sehr empfehlenswert: http://katjanovi.net/postinternetsurvivalguide.html)

Sechstens, ich habe wie so viele andere UserInnen unserem geschätzten http://www.internet.org im Laufe der Jahre tausende Worte Text, ungezählte Bilder bzw. Bildkollagen und viele Stunden Video überantwortet. Über den Wert dieser Beiträge möge man diskutieren. Ebenso über meine Entscheidung, und meinen Glauben an einen Aufbruch in eine andere (kulturelle) Zukunft und Lebensweise und ungewisse Identität. Andere Leute mögen sich an das geltende Recht halten und weitere Rechnungen ausstellen, solange es eben noch geht.

Business as usual, aber ich glaube, es bringt uns als Menschen und Gesellschaft kein Bit weiter. Als Autoren, Künstler und Photographen schon gar nicht. Und hält uns dagegen fest in einer pudelwohlvertrauten des ewigen Wirtschaftens und Wachsens und Konsumierens und Verbrauchens. Dienst nach Vorschrift, eben. Spekulationen über Alternativen und Instabilitäten soll betreiben, wer blöd genug ist, gute Zeit und schlechtes Geld darauf zu verschwenden.

Sechstens bis Google, die Liste kann und wird bei Gelegenheit fortgesetzt. Oder vielleicht möchte jemand anderer sie kopieren und daran weiterarbeiten. Oder hat es schon getan. Die Rechte dafür legen sich jetzt schlafen; für weitere Rechnungen und Abrechnungen wende man sich bitte an kostenlose Angebote seines Vertrauens im Internet.