Oh öffentliche Hörspiel-Jury erlöse uns!
Er ist ein Bildermaler
der Beste von der Welt
doch nur als Schildermaler
verdient er sich sein Geld
Wer fragt noch nach Begabung
wer fragt noch nach Talent
in einer Zeit wo jeder
nur noch den Likes nachrennt
Hildegard Knef, Patachou
In die Freude, mit der “Brennermumie” am Finale des Ö1 Kurzhörspiel-Wettbewerbs “Track 5″ teilnehmen zu dürfen mischt sich bereits jetzt Sisyphos-artige Erschöpfung und resignierendes Kopfschütteln über die absurde Austragung desselben – nämlich als “Online-Voting”.
Der öffentliche Rundfunk möchte sich hier von seiner innovativsten Seite zeigen, man “beschreitet seit 2013 neue Wege” und “verlagerte die Entscheidung” flugs “ins Netz.” (http://oe1.orf.at/artikel/331394)
Konkret wird dadurch aus dem Hörspiel-Wettbewerb nun ein 3-wöchiger populistischer Online-Mobilisierungswettbewerb, der mit den Qualitäten der eingereichten Arbeiten genau gar nichts zu tun hat. Sicherlich, die eine oder andere unabhängige Hörer_innenstimme wird sich auch beteiligen – die entscheidenden Mehrheiten können aber natürlich nur durch gezielte Aktivierung der jeweiligen Anhängerschaften erreicht werden.
Autor_innen, Hörspielmacher_innen und Lyriker_innen aller Art, darunter etwa auch die von mir sehr geschätzten Kolleginnen Mimu und Thomas Havlik, müssen – so fern sie gewinnen wollen – die kommenden 3 Wochen ihren Familen-, Freundes-, Fan- und Bekanntenkreis im Dauermodus “bearbeiten”, um ihnen per Facebook, Twitter, und in vielen persönlichen Gesprächen und händeringenden Anflehungen möglichst viele Stimmen abzuringen.
Wahlkampfzeit also! Möge jeder seinen Clan, seine Partei bzw. seinen Digitalen Tribe zusammentrommeln! Ich wünsche uns allen viel Kampfgeist, viel Erfolg beim verkaufen der Ware Selbst! Mögen unsere Hörspiele unsere Popularität in unermessliche Höhen steigern – nein, war das nicht umgekehrt?
Warum ausgerechnet Ö1 darauf besteht, holde Künstler_innen zu Politiker_innen und Self-Promotion-Fliessbandarbeitern in eigener Sache zu degradieren, das entgeht mir. (1. Damit Ö1-online ohne besondere eigene Anstrengung den monatlichen Klick-Plansoll erreicht?) (2. Damit das Radio endlich auch mal aus dem TV-Schatten von “Starmania” und “Dschungelcamp” hervortreten darf?)(3. Oder vielleicht soll das traditionelle Hörspiel ja um eine Art kuriose Meta-Massenmobilisierungs-Performance erweitert werden; und die vielen flehentlichen “wählt mich!” Tweets und Mails und Telefonate demnächst in einem eigenen Edition Ö1 Sammelband erscheinen – genau die Art von innovativer “digitaler Literatur” und “partizipativem Radio”, nach der wir uns schon seit eh und je besonders sehnen!)
Nun, was tun? Was tun, da uns dieser dreiwöchige Auto-PR-Stress nun einmal unwiderruflich angetan wird?
Ich überlege, die geschätzten Kollegin_innen demnächst auf ein Gewerkschaftliches Friedenspfeifenrauchen einzuladen, am besten in einen Wigwam direkt am Kuniglberg. Ziel müsste es sein, dass alle Gruppen genau 51,5 Stimmen erreichen, und somit den ORF zwingen, das zu tun, was eigentlich seine Verantwortung gewesen wäre: Bewertungskriterien publizieren und eine einigermaßen unbestechliche und öffentlich einseh- und -hörbare Jury bestellen, um den vom ORF selbst ausgeschriebenen Wettbewerb auch einigermassen eigenverantwortlich, transparent, energie- und nervenschonend, sprich: sinnvoll zu entscheiden.
Aber davon ein andermal – ich muss jetzt wieder los, Kontakte und Freundschaften durchforsten (vor allem jene, die ich noch gar nicht habe…) und rasch, rasch den täglichen Hörspiel-Plansoll von mindestens 5 Votes akquirieren. Ihr, liebste Hundertschaft der Freund_innen, seid natürlich alle eingeladen, am 28.2 mit mir das Siegespodest bei der Ö1 Hörspiel-Gala zu erklimmen!